Julya Rabinowich erzählt die Geschichte von Diana. Diana ist eine jener unzähligen Frauen aus Osteuropa, die in den Westen pendeln, um hier das Geld zu verdienen, mit dem sie ihre zurückgebliebenen Familien ernähren. Im ersten Teil des Buches erfahren wir in Rückblenden und kurzen Dialogen, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind, ihre Lebensgeschichte.
In einer bildreichen und poetischen Sprache lässt die Autorin Diana von der Kindheit in einem kleinen Dorf in der ehemaligen Sowjetunion erzählen. Von dem belesenen und auf rätselhafte Weise verschwundenen Vater und dessen großer Bibliothek, die ein ganzes Zimmer einnimmt. Hier findet sie ein Buch, das ihr Vater ihrer Mutter gewidmet hatte "Der Golem". Die Erzählung von diesem magischen Wesen beeindruckt sie zutiefst und nachhaltig. Sie erzählt von der kalten und strengen Mutter, die unbeirrbar auf die Rückkehr des Vaters wartet, von ihrer verbitterten Schwester und ihrem geistig behinderten Sohn, der, so wie sie, ohne Vater aufwächst.
Gegen den Willen der Mutter studiert sie Theaterregie, findet aber keine Arbeit als Regisseurin und somit auch keinen Ausweg aus der Tristesse. Lautstark verlangt ihre Mutter,
dass sie als älteste Tochter, als Nachfolgerin ihres Vaters, als eine die eine Ausbildung genossen hatte, Geld nach Hause bringen muss.
Über verschlungene Wege gelangt sie nach Wien, wo sie im Rotlichtmilieu landet. Der Geschäftsführer einer Bar bietet ihr Arbeit an - auf einer anderen Bühne, als der erhofften.
Das verdiente Geld bringt sie in regelmäßigen Abständen nach Hause. Ihre Schwester wirft ihr das "herumhuren" vor, und doch nimmt sie das Geld und die mitgebrachten Geschenke mit offenen Händen.
"Was
machen Sie, wenn Sie das Gefühl haben, nichts geht mehr?" "Ich habe
kein solches Gefühl." "Waren Sie denn nie verzweifelt?" "Das muss man
sich leisten können."
Diane kann es sich nicht leisten. Sie muss ihre Familie versorgen. Doch die Wut darüber, ihr Leben nicht so leben zu können, wie sie es möchte, kommt immer wieder in einzelnen Passagen zum Vorschein. Diese Wut und das Leben das sie führt, machen sie hart - im Innen und Außen.
Ablenkung findet sie nur in der Literatur Shakespeares und Dostojewskis. Das Buch "Der Idiot" trägt sie immer bei sich und liest so oft als möglich darin.
Im Zuge einer Amtshandlung in der Bar in der sie arbeitet, lernt sie Leo kennen. Einen gutmütigen, abergläubischen Polizisten. Weil er, laut seinem Horoskop, an diesem Tag eine gute Tat verrichten muss, lässt er sie laufen. Auf Betreiben Leos, gehen die beiden eine sehr ambivalente Beziehung ein. Für kurze Zeit kehrt ein wenig Ruhe in ihr Leben ein. Durch die Erkrankung Leos und seinen Tod findet diese Ruhephase nach wenigen Monaten ein jähes Ende.
Mit seinem Tod endet der erste Teil des Buches und gleichzeitig die Widerstandskraft Dianas. Beim Besuch seines Grabes erleidet sie einen Zusammenbruch.
Im zweiten Teil der Erzählung befindet sie sich in einer Klinik und erzählt von den Gesprächen mit ihrem Psychotherapeuten. Sie genießt die Ruhe die sie hier umgibt, das Umsorgt werden. Letztlich auch die Sicherheit vor der Abschiebung. In einem Gespräch das Diana mit einer Sozialarbeiterin führt, sticht die Autorin sehr drastisch in die offene Wunde "Asylpolitik" - da sie "nicht wenigstens vergewaltigt worden ist", hätte sie auch keine Chance auf Asyl in Österreich.
In einem Telefonat mit ihrer Schwester erfährt sie, dass ihr Sohn in eine staatliche Pflegeanstalt gebracht wurde und sie dringend Geld für die Ärzte benötigen. Sie flieht aus der Klinik, um nach Hause zu gelangen.
Sie verirrt sich, fällt zurück in ihre Wahnvorstellungen. Irgendwann werden ihr die Bücher, die die letzte Verbindung zu ihrer Vergangenheit darstellen, zu schwer, hängen wie ein großes Gewicht auf ihrem Rücken. Sie wirft sie in einen Bach, verabschiedet sich durch diesen symbolischen Akt von ihrer Vergangenheit.
Aus ihrem Blut und Lehm formt sie einen Golem. Der Golem, der sich, so wie auch die Erde, als mythisches Leitmotiv durch die Erzählung zieht und um den sich das Buch ihres Vaters, das er der Mutter gewidmet hatte, dreht. Sie gibt ihm den Auftrag, sie heim zu bringen - wo immer das auch ist. Ein letzter, bereits vom Wahnsinn gezeichneter Versuch, Regie zu führen.
Grandios, wie in diesem letzten Teil der Erzählung, der innere Monolog Dianas, ihr Verfall, dargestellt wird.
"Die Erdfresserin" ist ein außergewöhnlicher Roman einer mutigen, aber innerlich einsamen Frau, die sich trotz aller Widrigkeiten nicht besiegen lässt. "Es gibt welche, die bleiben liegen", sagt sie. "Ich gehöre zu denen, die aufstehen und weitergehen."
Der Roman beeindruckte mich nicht nur durch die poetische Sprache und die brisante Thematik, sondern vor allem durch die sensibel gezeichnete Hauptfigur. Durch die Erfahrungen die die Autorin als Dolmetscherin bei Therapiegesprächen hat, hat sie eine Lebensrealität gezeichnet, die uns im Alltag umgibt, die wir aber unterhalb unserer Wahrnehmung verlaufen lassen.
"Die Erdfresserin" ist kein leichtes Buch, aber mich hat es, durch die großartige Erzählkunst der Autorin, von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann gezogen.
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